Enthüllungs-Journalismus statt Erfüllungs-Journalismus

Enthüllungs-Journalismus statt Erfüllungs-Journalismus

Mit den Concordia-Preisen werden jährlich außerordentliche journalisitische Arbeiten für Menschenrechte, Demokratie und insbesondere für Presse- und Informationsfreiheit ausgezeichnet. Die kritischen und warnenden Worte des Preisträgers in der Kategorie „Pressefreiheit“, Dieter Bornemann haben noch vor dem Sommer hohe Wellen geschlagen. Aus gegebenem Anlass, dürfen wir hier nochmals auf die Dankesrede im Wotlaut hinweisen.

Die Dankesrede von Dieter Bornemann im Wortlaut:

Sehr geehrte Damen und Herren!

Ich freue mich sehr über den Preis. Weil es eine Anerkennung ist für meine Arbeit in der Redakteursvertretung. Die kostet viel Kraft, weil man dauernd streiten muss. Und man gewinnt bei den Chefs eher keinen Beliebtheits-Wettbewerb. Mein Vorgänger Fritz Wendl hat es so formuliert: Wenn wir nicht protestieren, dann gibt es keine Instanz im ORF, die das tut. Und dann wird die Arbeit für die Journalistinnen und Journalisten noch schwieriger.

Die große Freude über den Preis wird getrübt durch den Ärger über die heimische Medienpolitik: Denn mit der Pressefreiheit in Österreich steht es nicht zum Besten. Es ist wie mit unseren Alpengletschern: Beides ist noch da, schmilzt aber rapide dahin.

Und so wie es für die Umwelt bedrohlich ist, wenn die Gletscher schwinden, ist die Demokratie gefährdet, wenn es immer weniger Qualitätsjournalismus gibt. Weil der wirtschaftliche Druck auf die meisten Medien groß ist, schmelzen die Redaktionen – ähnlich wie die Gletscher – seit Jahren zusammen. Gleichzeitig baut sich eine riesige Flutwelle auf, die über die Redaktionen hinweg schwappt: Eine Flutwelle an Propaganda und PR. Produziert von einer Rekordzahl an Pressesprechern und Social-Media-Beauftragten, die in den Ministerien, Parteien und Unternehmen sitzen und Redaktionen mit ihrem Spin überschwemmen.

Wen will Sebastian Kurz?

Konkret zum ORF: In zwei Tagen wird die Funktion des Generaldirektors ausgeschrieben. Jetzt könnte man annehmen, schon vor Monaten hat der Stiftungsrat einen Headhunter beauftragt, der national und international nach den besten Köpfen für das Direktorium sucht. Es gibt einen öffentlich geführten Wettstreit der Ideen über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Mediums, des Journalismus in diesem Land und wie es mit dem ORF weitergehen kann. Leider nein. Es geht nicht um die besten Ideen. Es geht darum, wen will Bundeskanzler Sebastian Kurz am Chefsessel des ORF haben.

Es geht nicht um die besten Ideen. Es geht darum, wen will Bundeskanzler Sebastian Kurz am Chefsessel des ORF haben.

Der Stiftungsrat entscheidet das am 10. August nur formal. Zu glauben, die ORF-Führung wird ohne die Zustimmung des Bundeskanzlers bestellt, ist nahezu naiv. Wie hat es Finanzminister Gernot Blümel im Ibiza-U-Ausschuss gesagt: Es ist klar, dass die Bundesregierung Personalentscheidungen trifft. Manchmal werden auch solche diskutiert, für die man formal nicht zuständig ist.
Da ist wohl auch der ORF dabei. Es ist zwar jahrzehntelange Praxis, dass die Politik bestimmt, wer die wichtigsten Positionen im ORF einnimmt. Vom versprochenen „neu regieren“ haben sich viele aber etwas anderes erwartet.
Seit bald 50 Jahren steht in der Verfassung die „Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks“. Und die Unabhängigkeit der Personen und Organe.

Die Realverfassung des ORF

Die Realverfassung schaut bekanntlich anders aus. Das ORF-Gesetz macht die politische Kontrolle – vor allem durch die Regierungsparteien – erst möglich.
Etwa durch den Stiftungsrat. Was steht im Universallexikon Wikipedia über unser Aufsichtsgremium? „Der Stiftungsrat besteht aus 35 Mitgliedern und sichert den Einfluss der politischen Parteien im ORF“ Punkt. Von diesen 35 Mitgliedern lassen sich 32 direkt oder indirekt einer Partei zuordnen. Der ÖVP-„Freundeskreis“ hat 16 Mandate, einige weitere stehen der Partei zumindest nahe. Und so kommt die ÖVP mit 37 Prozent bei der letzten Nationalratswahl auf so gut wie 100 Prozent Einflussmöglichkeit auf die ORF-Geschäftsführung.

Die geheime Abstimmung im Stiftungsrat wurde von der Regierung Schüssel abgeschafft. Es muss offen mit Handzeichen gewählt werden, um zu kontrollieren, wer wie abgestimmt hat.
Wer DirektorIn in einem Landesstudio werden will, braucht als wichtigste Qualifikation vor allem die Zustimmung des Landeshauptmannes, der Landeshauptfrau. Im ORF-Gesetz (§ 23/3) steht nämlich das sogenannte Anhörungsrecht. Der Generaldirektor muss mit den Landeshauptleuten besprechen, wem er die Führung des Landesstudios anvertrauen möchte.
Ich kann mich an keinen Fall erinnern, an dem ein Studio gegen den Willen der regierenden Landespartei besetzt wurde. Wenn man den ORF-Chefsessel erklimmen will, sind die Stimmen der neun Stiftungsräte aus den Bundesländern ziemlich wichtig. Wer ORF-GeneraldirektorIn werden will, dem bleibt also gar nichts anderes übrig, als sich mit der Politik zu arrangieren, um die Mehrheit im Stiftungsrat zu bekommen.

Freund oder Feind

Darum wird jetzt wenig über Konzepte und Ideen diskutiert, sondern vor allem über parteipolitische Zugehörigkeit und Personal-Deals. Das ORF-Gesetz muss daher dringend reformiert werden, der Stiftungsrat auf eine breite zivilgesellschaftliche Basis gestellt werden.
Selbstverständlich sollen die gewählten Vertreter der Politik über den ORF mitentscheiden – aber eben nicht ausschließlich. Der Presseclub Concordia hat Vorschläge ausgearbeitet, wie der ORF verstärkt zum „Rundfunk der Gesellschaft“ gemacht werden soll. Das Interesse der Politik daran war eher verhalten.

Apropos Veränderung: Eines hat sich in den vergangenen Jahren massiv geändert, nämlich das Verhältnis zwischen Politik und Journalismus. Verhaberung hat es früher auch gegeben. Jetzt wird aber vor allem in das „Freund-Feind-Schema“ eingeteilt: Bist du nicht für uns, dann bist du unser Gegner – so das Motto bei vielen in der Politik. Bei Interviews wird man für unbotmäßige Fragen angeblafft.

Wenn JournalistInnen nicht freundlich berichten, dann werden sie schnell als Feinde angesehen und einer gegnerischen Partei zugeordnet. Und vom Informationsfluss abgeschnitten.

Wenn JournalistInnen nicht freundlich berichten, dann werden sie schnell als Feinde angesehen und einer gegnerischen Partei zugeordnet. Und vom Informationsfluss abgeschnitten.
Dass sie einfach ihren Job machen, nämlich unabhängig, distanziert und kritisch berichten – von dieser Idee haben sich viele im Politbetrieb offenbar verabschiedet.

Interessant ist der Werkzeugkasten der Spin-Doktoren. Kaum eine Redaktion kann sich der professionell durchgezogenen Message Control entziehen. Ein paar Beispiele aus der Praxis: Die Pressesprecher in den Ministerien versuchen natürlich gezielt, ihre Themen zu setzen. Nicht der Journalist ruft bei ihnen an, um zu recherchieren, sondern es geht in die andere Richtung: Den Redaktionen werden Themen und Interviewpartner angeboten. Und das durchaus mit Nachdruck. Gleichzeitig sind viele Redaktionen froh, wenn sie Inhalte – Content, wie es heute gerne genannt wird – gratis ins Haus geliefert bekommen.

Mikrofonständer-Journalismus

Vor einiger Zeit schicken uns Pressesprecher eines Ministeriums eine lange Liste mit Themen-Vorschlägen aus ihrem Ressort. Inklusive Datum, wann der Bericht bei uns auf Sendung gehen sollte – um die Themen auch mit anderen Medien abzustimmen, hat es geheißen. Wenn man da den Kopf schüttelt und sagt, wir überlegen uns lieber unsere eigenen Themen, dann stößt das auf ziemliches Unverständnis.
Oder Pressesekretäre schicken am Vortag eines Interviews „mögliche Fragen“. Wissend, dass viele Redakteurinnen und Redakteure kaum mehr Zeit für die Vorbereitung eines Interviews haben. Solche Fragen-Kataloge gab es zuletzt in den 1960er Jahren – vor dem Rundfunk-Volksbegehren von Hugo Portisch. Auch damals haben Politiker die Journalisten als Sprachrohr im Dienste der Parteipolitik gesehen.

Statt offener Pressekonferenzen für alle Medien, gibt es jetzt häufig sogenannte Hintergrund-Gespräche, zu denen nur ausgewählte Medien sehr selektiv eingeladen werden. Oder wenn zu echten Pressekonferenzen eingeladen wird, passiert das oft sehr kurzfristig – so haben wir möglichst wenig Zeit, uns inhaltlich auf das Thema vorzubereiten.

Mit sogenannten Doorsteps, Facebook-Videos, Statements ohne Fragemöglichkeit oder Pressekonferenzen mit nur einer zugelassenen Frage – so werden Journalistinnen und Journalisten zu Mikrofonständern degradiert, weil kritisches Nachfragen oft unmöglich gemacht wird.

Enthüllungs-Journalismus statt Erfüllungs-Journalismus

Das alles ist nicht verboten, die Spin-Doktoren machen ihren Job einfach professionell, weil auch genügend Steuergeld für sie da ist. Aber Medien werden so immer mehr zum Werkzeug der Politik und verlieren ihre Rolle als unabhängige Informationsquellen. Gerade der öffentlich-rechtliche Qualitätsjournalismus muss umfassend berichten – und dort hinleuchten, wo die PR-Leute lieber das Licht abdrehen wollen. Wir brauchen mehr Enthüllungs-Journalismus und nicht Erfüllungs-Journalismus. Der ORF darf weder zum PR-Medium für die Regierung verkommen, noch zur Kampfplattform der Opposition. Wir sind nicht die Feinde der Politiker – aber auch nicht ihre Freunde. Wir machen Journalismus.

Der ORF darf weder zum PR-Medium für die Regierung verkommen, noch zur Kampfplattform der Opposition. Wir sind nicht die Feinde der Politiker – aber auch nicht ihre Freunde. Wir machen Journalismus.

Der US-Höchstrichter Hugo Black hat vor genau 50 Jahren im Prozess um die Pentagon-Papers die Pressefreiheit so verteidigt: „Die Presse hat den Regierten zu dienen, nicht den Regierenden.“

„Die Presse hat den Regierten zu dienen, nicht den Regierenden.“

In etwa einem Jahr werden die ORF-Redaktionen von Radio, Fernsehen und Online in einem gemeinsamen Newsroom am Küniglberg arbeiten und nicht mehr getrennt in unterschiedlichen Redaktionen. Bringt das mehr Pluralismus, mehr verschiedene Zugänge zu den Themen, mehr selbstrecherchierte, spannende Geschichten? Vermutlich nicht, es soll vor allem effizienter und schneller werden. Nur: Qualitätsjournalismus ist meist nicht schnell und vor allem nicht effizient – im Gegenteil: Man weiß vorher nicht, was rauskommt, wenn man sich in ein Thema vertieft, Informanten trifft oder Akten wälzt.

Und wenn in diesem neuen Newsroom die Führungsfunktionen nicht nach Qualifikation, sondern nach politischer Farbenlehre besetzt werden, dann sehe ich im multimedialen Newsroom keine große Zukunft für den Journalismus im ORF.

Unabhängigkeit als Pflicht

Parteipolitische Unabhängigkeit ist nicht nur unser Recht, sondern auch unsere Pflicht – so steht es im ORF-Gesetz. Fast alle halten sich daran. Aber es gibt immer wieder Einzelne, die sich Parteien andienen und so mit dem Karriere-Lift nach oben fahren. Der ORF darf nicht durch kurzfristige parteipolitische Interessen ruiniert werden. Dafür ist er zu wichtig für das Land. Und – auch wenn es pathetisch klingt – für die Demokratie in Österreich.

Daher mein Appell an die Politik: Lassen Sie uns unsere Arbeit machen, auch wenn Sie keine Freude damit haben. Der ORF gehört den Österreicherinnen und Österreichern, nicht den Parteien!